Du hast in der St. Stephanus-Kirche alte Aufnahmen unbekannter Fotografen ausgestellt. An sich beinhalten diese Fotografien keine künstlerische Absicht.

Torsten Prothmann erzählte mir, dass diese Sammlung von schwarz-weissen Hochzeitsfotos in seinem Wohnzimmer hängt. Das interessierte mich; und zu der Zeit hatte ich gerade Lust bekommen, etwas in der St. Stephanus-Kirche zu machen. Einen künstlerischen Anspruch gab es auch bei Torsten selbst erst einmal nicht, obwohl er Künstler ist. Er hat die Fotos einfach Jahre lang gesammelt, zufällig auf Flohmärkten in Deutschland und Frankreich gekauft. Bei der Ausstellung ging es mir vor allem um eine Geste, um eine „Rückkehr“ der Hochzeitfotos in die Kirche. Durch das Nebeneinander der Aufnahmen entstand eine Situation der ästhetischen Wahrnehmung und des Vergleichs der Bilder untereinander. Die Präsentation, es waren etwa 40 gerahmte Fotografien, spielte eine wichtige Rolle. Dem Pfarrer haben auch die schlichten Stellwände aus Pappe gefallen, er konnte die leicht hin und her schieben und plazieren.





Was möchtest du mit der Ausstellung erreichen, kannst du das noch etwas erläutern?

Es ist nicht mein Ziel, ein Kunstwerk an einem ungewöhnlichen Ort auszustellen. Ich versuche vielmehr, durch nicht-spektakuläre Mittel eine andere Wahrnehmung des Ortes und auch des Werkes zu ermöglichen. Vielleicht funktioniert das zunächst nur in meinen Augen, da es meine persönliche „Vision“ von etwas erfüllt. Aber spätestens durch die Vermittlung des Re-Institutionalize Projektes im Kunstkontext, denke ich, ändert sich die Wahrnehmung.





Was meinst du damit?

Ich möchte den Ort mit einer Geste kombinieren und die daraus folgende Situation ausstellen. Wer das Projekt vor Ort wahrnimmt, ist nicht darauf vorbereitet, sich mit Kunst zu beschäftigen, und ich will niemanden dazu zwingen. In der St. Stephanus-Kirche, nach einer Hochzeit, bei der ich anwesend war, sagte eine Frau dem Pfarrer, dass sie es toll finde, dass er so viele Hochzeiten, die dort stattgefunden hätten, dokumentiert und ausgestellt habe... Ihre Vermutung war schön, und es tat mir ein bisschen Leid, ihr die Wahrheit zu sagen, als der Pfarrer sie an mich verwies. Die Wahrnehmung ist eben immer vom Kontext abhängig, und vom Interesse und Wissen jedes einzelnen Betrachters.





Haben persönliche Vorstellungen eine Rolle gespielt bei der Idee zu dieser Ausstellung?

Ich stelle mir vor, dass ein Hochzeitsfoto etwas sehr Persönliches und gleichzeitig etwas Offizielles ist. Nur ein Bild wird ausgewählt, an Freunde gesandt und zu Hause aufgestellt. Ich habe mir auch gedacht, dass ich es nicht so toll fände, wenn ein Fremder mein Hochzeitsfoto auf dem Flohmarkt finden würde. Vielleicht gefiel mir deswegen die Idee, die Bilder in die Kirche „zurückzubringen“. Was ich an Kirchen am meisten mag, ist, dass die so leer sind. Dass man dort prima seine Ruhe haben kann und das Licht, das Echo, das Raumgefühl und gegebenenfalls die Kunst ungestört auf sich wirken lassen kann, das geniesse ich sehr.










War die Ausstellung schwer zu realisieren? Und wie war die Resonanz der Kirchenbesucher, neben der von dir bereits erwähnten?

Die Organisation war sehr angenehm und leicht; es gab sogar einen Kirchenbesucher, der zusammen mit dem Pfarrer die Bilder spontan aufgehängt hat. Torsten hat den beiden assistiert, und ich konnte mich auf das Filmen konzentrieren. Alles lief prima. - Während der Ausstellung, wenn ich in diese Kirche gegangen bin, hatte ich nicht das Gefühl, zur Kirche zu gehen, sondern ich hatte das Gefühl, zu meiner Ausstellung zu gehen. Selbst die richtige Hochzeit dort erschien mir als Performance in meiner Ausstellung... Dieses Gefühl hatte natürlich nur ich, und vielleicht war es ein so tolles Gefühl - gerade deswegen! Dieses Gefühl möchte ich durch die Dokumentation vermitteln. Die meisten Kirchenbesucher haben das Projekt wohl wie eine vom Pfarrer organisierte Animation in der Kirche gesehen; was ja auch stimmt ...





Die Fotografien sind eigentlich für uns bedeutungslos. Was interessiert dich daran?

So bedeutungslos sind die Fotografien gar nicht, oder? Wie ich schon sagte, gibt es diese spannende Mischung aus Offiziellem und Persönlichem. Ausserdem spiegeln sie Hoffnung, Stolz, vielleicht sogar Liebe wider? Man kann eigentlich ziemlich viel von so einem Foto ablesen. Besonders interessant wird es durch die Menge, wenn man anfängt, darüber zu spekulieren, ob die Pärchen zueinander passen, was für Charaktere die Menschen hatten und ob sie glücklich geworden sind. Solche Beobachtungen und diese Art von Beschäftigung mit Bildern sind gar nicht so uninteressant, finde ich.





Schaffen die Aufnahmen tatsächlich einen veränderten Raumeindruck? Wird eine so subtile Wirkung der Inszenierung nicht eher ausgelöscht, indem du Passendes zusammenbringst?

Die Subtilität der Arbeit liegt darin, dass sie scheinbar Passendes zusammenbringt, wie schon im Salon Picasso und im Kindergarten (Re-Institutionalize #1 & 2). Es ist interessant, zu beobachten, wie stark der Kontext die Betrachter beeinflusst – wie die Frau, die es für selbstverständlich hielt, dass alle abgebildeten Paare in der St. Stephanus-Kirche getraut geworden waren, obwohl eigentlich nicht zu übersehen ist, dass mehrere Fotografien standesamtlich getraute Paare (auch aus der NS-Zeit) zeigen. - Es geht jedenfalls nicht darum, eine spektakuläre Rauminstallation zu machen. Es geht um eine Einweihung des Ortes und der Objekte, die gezeigt werden. Um ein zugespitztes Beispiel zu geben: Ein afrikanischer Priester weiht ein Stück Holz durch ein magisch-religiöses Ritual. Dadurch bekommt es magische Kräfte und eine sonderbare Position in der Gesellschaft, obwohl es sich rein äusserlich nicht von anderen Holzstücken unterscheidet ...





Interview: Heike Wetzig & Kristofer Paetau, Juli 2004
Re-Institutionalize # 03: St. Stephanus-Kirche