Was hast du ausgestellt, und warum im Frisiersalon Picasso?

Es handelt sich um zehn Zeichnungen, die Berliner Schulkinder nach Zeichnungen von Pablo Picasso gemacht und signiert haben. Ich habe zunächst die Zeichnungen der Kinder nachgezeichnet. Ausgestellt habe ich dann meine Nachzeichnungen. - In der Nähe meines Ateliers gibt es einen Imbiss, einen Grill und einen Frisiersalon, die den Namen Picasso tragen. Und ich hatte in der Grundschule bei mir um die Ecke zufällig die Zeichnungen entdeckt. Ich musste einfach etwas damit machen! Imbiss Picasso und Grill Picasso haben mein Projekt abgelehnt, aber Salon Picasso fand es toll.





Durch die Verdopplung des Namens Picasso und durch die nachträgliche Dokumentation im Internet wird ein potentiell unendlicher Kontext angedeutet: Der Salon, seine Umgebung, die Leute, die dort auf deine Arbeiten aufmerksam werden... . Worum geht es dir?

Die Inhaberin des Salons Picasso hatte mir erzählt, dass sie ihren Beruf als Kunst versteht; und da sie Picasso für den größten Künstler hält, hat sie ihren Salon nach ihm benannt. Ich habe mich sozusagen in sie hineinversetzt und mir vorgestellt, meine Kinder hätten Picasso-Zeichnungen gemacht, die ich in meinem Frisiersalon zeige – fertig war die Ausstellung. Sie fand die Zeichnungen schön, und es gefiel ihr, noch mehr Kunst in ihren Laden zu bringen. Da sie, wie gesagt, ihren Beruf als Kunst versteht und ich den ganzen Salon als Kunst verstehe, ergänzten wir uns wunderbar. Die Zeichnungen waren vielleicht nur ein Vorwand, um mit ihr zu arbeiten - obwohl ich die sehr spannend finde: Plötzlich ist es total unwichtig, wie die Originale aussehen, es könnten einfach Varianten der Kinderzeichnungen sein! Und der Name Salon Picasso gefällt mir sehr, nicht nur, weil das ein ungewöhnlicher Frisiersalon ist, sondern auch, weil er die Tradition der ’Salons’ der Moderne aufgreift und dadurch die Zeichnungen weiter kontextualisiert werden.





Die ’Kunstwelt’ war nicht eingeladen, vor Ort gab es kein Informationsmaterial. Wozu die Geheimhaltung?

Diese Ausstellungen haben ihr eigenes Publikum, eben kein ’Kunstpublikum’. Ein Frisiersalon braucht einfach Kunden. Dass die Kunstwelt erst nachträglich von den Ausstellungen erfährt, halte ich für notwendig. Solche Orte entdeckt man allein oder zu zweit und durch Zufall. Diese Erfahrung zu vermitteln, ohne sie zu zerstören, ist sehr schwierig. Die Dokumentation im Internet ist nicht ’the real thing’; aber der Frisiersalon existiert... . Ich selbst bin auf ihn aufmerksam geworden, als ein befreundeter Künstler, Jesper Alvaer, sich vor seiner Vernissage die Haare schneiden lassen wollte. Ich sagte zu ihm, "laß uns zum Salon Picasso gehen". Wir haben das auf Video aufgenommen, und er hat es dann in seiner Ausstellung gezeigt. Im Salon Picasso hat schon einmal ein Künstler Ölgemälde ausgestellt, erzählte mir die Inhaberin. Der Ort hat also seine eigene, künstlerische Geschichte, die sich weiterentwickelt.





Handelt es sich um ein subversives oder einfach nicht ganz freiwilliges Projekt? Du sezessionierst damit abseits offizieller Ausstellungsmöglichkeiten. Daraus könnte man schließen, dass du von Institutionen nicht genug gewürdigt wirst. Andererseits ist es üblich, dass Künstler an öffentlichen Orten ausstellen. Wie würdest du dein Interesse an dem Projekt beschreiben?

Meine Motivation besteht ein bisschen aus all dem, was du genannt hast. Frust und Scheitern als kreative Energien sind ein romantisches Klischee, aber auch alltäglich: Wenn man subversiv oder einfach mit Humor damit umgeht, eröffnen sich Möglichkeiten, die man sonst nicht wahrnimmt. Die meisten Leute haben aber Angst vor dem Scheitern und vor dem Frust und wollen sich das nicht eingestehen. – Künstler, die zum Beispiel in Cafés ausstellen, tun das meistens, wenn es keine anderen Ausstellungsmöglichkeiten gibt, und es soll aussehen so wie in einer Galerie. Man versucht, den Ort zu ignorieren, und das ist ein Scheitern.





Das Projekt wendet sich von traditionellen Ausstellungsorten ab. Gleichzeitig machst du aber die Orte zu Institutionen, indem du da ausstellst.

Die Orte sind aber schon Institutionen - allerdings keine Kunst-Institutionen. In letzter Zeit fallen mir Ausstellungen, Filme, Bücher, Podiumsdiskussionen und Seminare auf, die sich Gedanken um die Zukunft der Kunst-Institutionen machen: Wie man den ’Anforderungen der Gegenwartskunst’ gerecht werden kann. Künstler sind bekanntlich sehr daran interessiert, Institutionen zu bedienen. Umgekehrt ist das eher nicht der Fall. Das Problem scheint zu sein, dass es überhaupt Kunst-Institutionen gibt. Gäbe es sie nicht, wäre jede Institution eine potentielle Kunst-Institution. Das ist der Ansatz meines Projekts: Jede Pommes-Bude als potentielle Kunst-Institution zu betrachten. Darum heißt das Projekt Re-Institutionalize.








Ist deine Auffassung vom Beruf des Künstlers prägend für das, was du unternimmst? Überforderst du damit nicht ein Publikum, dass vielleicht ganz andere Fragen mitbringt?

Das ’Publikum’ empfindet sich hoffentlich gar nicht als ’Publikum’. Wer in den Salon Picasso geht, gehört eher zu einer Klientel, die sich, vielleicht, mit den Angestellten über die Arbeiten unterhält. Vielleicht stellt sich die Frage nach einer Beziehung zwischen dem Salon und den Zeichnungen? Mich hat die Zusammenarbeit mit den Angestellten sehr gefreut. Die haben die Bilder zusammen mit mir gehängt und sich über die Präsentation Gedanken gemacht. Zum Beispiel wurden alle große Frauenportraits über vorhandenen Plakaten angebracht. Das war eine Erfahrung maximaler Arbeitsökonomie (die Nägel waren schon in der Wand) und eine optimale Hängung, wobei ein Bild durch ein anderes verborgen wurde. Ondrej Brody, ein befreundeter Künstler, hat die Installation der Arbeiten gefilmt, und wir haben daraus einen sehr schönen Film gemacht.





Wie fanden es die Kinder, dass ’ihre Zeichnungen’ ausgestellt wurden?

Die wussten davon nichts, haben es aber sicher schnell mitbekommen, weil es im Kiez nur wenige Frisiersalons gibt. Hier wissen alle alles sehr schnell. Korrekt wäre es allerdings gewesen, ihnen das ganze Projekt zu erklären und jedes um Erlaubnis zu bitten, seine Zeichnung verwenden zu dürfen. Das wäre aber eine völlig andere, pädagogische Arbeit geworden, die mich überhaupt nicht interessiert. Jetzt ist es eher klandestin und spannend.





Wie würdest du die Herausforderung beschreiben?

Ich bekomme täglich Emails mit Ausstellungs-Ankündigungen von überallher. Mindestens 95% dieser Ausstellungen werde ich nie sehen! Nie bekomme ich Emails, die sagen: “Hej, wir haben diese tolle Ausstellung gemacht! Falls du die nicht vor Ort gesehen hast, kannst du dir jetzt hier im Netz eine Dokumentation anschauen!“ Niemand macht das, und das ist genau das, was ich mit diesem Projekt machen will. Die Dokumentation ist also ein wichtiger Teil des Werkes! Wichtige Ausstellungen werden oft erst nachträglich zur Kenntnis genommen. Aber alle wünschen sich ein riesiges Publikum, um das Ganze als Erfolg bezeichnen zu können. Mein Projekt stellt andere Bedingungen: Es gibt diejenigen, die zufällig Teil davon werden und diejenigen, die später davon erfahren. Die Herausforderung liegt für mich vor allem in der Zusammenarbeit mit den potentiellen Kunst-Institutionen, mit den Leuten, die dort arbeiten. Für mich ist Re-Institutionalize ein Abenteuer, und ich lerne eine Menge und habe Spaß daran.





Interview: Heike Wetzig & Kristofer Paetau, April 2004

Re-Institutionalize # 01: Salon Picasso