Dies ist eine Fotografie und ein Portrait. Wer ist er, und worum geht es?

Dies ist Piet, ein Freund von mir aus Antwerpen (Belgien). Piet ist kein Künstler, aber er gibt ein gutes Modell eines Künstlers ab. Er erzählte mir, dass er gern für längere Zeit ins Ausland gehen würde, aber nicht wüsste wie und wohin. Ich bat ihn, mir ungefähr zehn Bilder von seiner Destination zu senden, als 'Beweis' für seine Reise - ohne mir zu verraten, wohin er gereist sei. Piet stimmte dem 'Deal' zu und kaufte extra aus diesem Anlass eine Digitalkamera. Dieses Selbstportrait war seine erste Aufnahme, um die Kamera zu testen.










Du hast also einen 'Deal' vereinbart... - Bei einem früheren Re-Institutionalize Projekt hattest du deinen eigenen Abendspaziergang auf einem Friedhof in Finnland als Ausstellung deklariert. Jetzt ist das Ereignis sogar noch weiter 'entfernt', denn die Fotografien wurden von jemandem gemacht, der kein Künstler ist. Inwiefern handelt es sich dann um Kunst?

Ich glaube, die Erwähnung einer Deal ist äußerst wichtig für die Bestimmung dessen, was Kunst und was nicht Kunst ist. Alles kann als Kunst anerkannt werden, wenn es der Arbeit gelingt, einen Deal mit der Kunstwelt zu machen. Es gibt aber einen Unterschied zwischen 'Kunst sein' und 'als Kunst anerkannt sein'. Nicht zu vergessen, wie problematisch es ist, zu entscheiden, was wichtige, interessante und gute Kunst ist. In diesem Fall würde ich sagen, dass ich über Kunst spekuliere, indem ich diesen Deal mit Piet vereinbare. Wie bei den anderen Re-Institutionalize Projekten findet auch dieses völlig unabhängig von Kunstinstitutionen statt und versucht, Kunst und Kunstinstitutionen "aus dem Nichts" hervorzubringen. Aber um auf die Frage zurückzukommen, ich denke, dass es sich bei dieser Vereinbarung um einen künstlerischen Deal handelt, denn er zielt darauf ab, der Produktion von Bildern symbolischen Wert zu verleihen. Die künstlerische Qualität dieser Aufnahmen bezieht sich im wesentlichen auf eine konzeptuelle 'Umschaltung', die vor der Entstehung und dem Wahrgenommenwerden der Bilder stattfindet. Die Fotografien fordern dazu heraus, etwas Spezifisches herauszufinden; und der Deal hinter den Bildern informiert die Betrachtenden über eine künstlerische Strategie.










Ist die Kunst verschwunden, um in Verkleidung wieder zu erscheinen?

Natürlich ist für mich die Idee des Verschwindens mit der Absicht, in Verkleidung wieder zu erscheinen, anziehend. Ich finde, es ist eine gute Strategie, die es der Kunst ermöglicht, bestimmte Dinge wieder auszudrücken – Romantik, Leidenschaft und Idealismus zum Beispiel -, ohne sich bestimmten Codes und Klischees anpassen zu müssen. Diese Strategie ist vielleicht schon veraltet, aber ich glaube, dass sie in diesem besonderen Fall ziemlich gut funktioniert.










Vielleicht ein Hotelzimmer? Es ist ein Hinweis, oder? Warum hat er dies hier fotografiert, was meinst du?

Es ist eine Unterkunft für Backpacker. Ich mag den Namen “Cat and Moose“. Es gibt ganz gewiss einen deutlichen Hinweis: dass Wasser dort knapp sein soll. Ich nehme an, Piet mochte auch den Namen und die sehr praktischen Anweisungen, wie man Wasser sparen kann. Wir haben tatsächlich nie wirklich über die Bilder gesprochen, die er mir geschickt hat, ich weiss also kaum mehr darüber als du.










Das Bild ist zugleich leer und sehr voll. Das ist ziemlich unbestimmt, aber Piet will wohl etwas mitteilen. - Warum behauptest du nicht einfach, dass du die Fotografien gemacht hast? Dann wäre es Kunst...

Es ist ein seltsames Bild, irgendwie 'orientalisch', aber es sieht falsch aus. Und es passt nicht wirklich zu den Elementen im Raum. Ich bin sicher, dass es hinter diesem Gemälde und hinter der Tatsache, dass es dort ist, eine Geschichte gibt. Ich mag dieses 'Potential' in einem Bild. – Aber ich stimme überhaupt nicht mit deiner Idee von Autorenschaft überein. Es wäre dumm, so zu tun, als hätte ich die Fotografien gemacht. Es wäre dann zwar einfacher, zu sagen, dass es Kunst ist – weil ein ausgebildeter Künstler auf den Auslöser drückte -, aber es wäre sehr schlechte Kunst. So ist es viel herausfordernder, darüber als Kunst nachzudenken, gerade weil die Fotografien aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet werden müssen.










Ein einzelnes Teil von einem einsamen Etwas: Jemand bietet, was er gesehen hat, zum Betrachten an. Ich bin veranlasst, mich damit zu beschäftigen. Wenn ich es benennen kann, wird es ein Teil der Welt, in der ich lebe.

Ich stimme mit dir überein, dass eine Geste, die eine persönliche Erfahrung anbietet, um sie mit anderen Leuten zu teilen, wichtig ist; aber es braucht mehr, um mein Interesse zu wecken. Ich meine, eine Menge Leute produzieren Tonnen von Schnappschüssen und stundenlange Videoaufnahmen von ihren Ferien, aber niemand würde behaupten, dass das ein Grund wäre, sich das alles anzusehen. Ich finde, dass dieses Bild interessant ist gerade wegen der Schwierigkeit, den Gegenstand zu benennen und zu verstehen. Das Interesse liegt in dem dargestellten Gegenstand selbst, und die Fotografie ist darauf in einer sehr effizienten Weise fokussiert. Sogar wenn du verstehst, was du siehst und wie es gemacht wurde, bleibt der Gegenstand immer noch interessant, und das ist, meiner Meinung nach, eine echte Qualität.










Dies ist wahrscheinlich ein Ort, zu dem Touristen geführt werden, um Aufnahmen zu machen. Komisch, dass sie den Fotografen zu fotografieren scheinen... Mir ist, als hätte ich das schon einmal gesehen. - Die Fotografien entsprechen verschiedenen Kategorien: Stilleben, Portrait, Landschaft usw., und sie sind auf irgendeine Weise "psychologisch". Ich habe den Eindruck, dass Piet auf seiner Reise ziemlich clevere Bilder gemacht hat; die Art, wie er euren Deal in Wirklichkeit umsetzte.

Ich stimme vollkommen mit dir überein.










Unterwegs. Fährt schnell. - Vielleicht sollten wir nun über deine Idee von 'Institutionalisierung' sprechen. Tritt sie in Kraft, sobald die Aktion veröffentlicht und im Kunstdiskurs kommuniziert ist?

Dieses Projekt scheint wirklich 'selbst-institutionalisiert' zu sein, vom Anfang (dem Deal) bis zum Ende (der Kommunikation des Projektes). Ich fürchte, es gibt keine Möglichkeit, diesem Schluss zu entgehen. Der wesentliche Moment war mein Deal mit Piet, der ziemlich genau einer Vereinbarung zwischen einer Kunstinstitution und einem Künstler gleicht. In diesem Fall spiele ich die Rolle der Institution und des Kurators und Piet die des Künstlers - während ich in Wirklichkeit die Rolle eines Künstlers übernehme und Piet das nicht tut. Ich höre und lese viele Kommentare von sehr institutionalisierten Künstlern und Kuratoren, die sagen, ob Kunst innerhalb oder ausserhalb von Kunstinstitutionen produziert werde, sei völlig unwichtig, die einzig relevante Frage sei die nach der Fähigkeit von Kunst, die Gesellschaft zu transformieren... Für mich klingt das nach Nachlässigkeit sich selbst gegenüber. Ein bisschen wie "jetzt, da wir in unseren Karrieren erfolgreich geworden sind, brauchen wir höhere Ziele und ein gutes Gewissen, um zusammenzuhalten." - eine clevere Art und Weise, die existierenden Machtstrukturen zu konsolidieren! Das ist nicht nur heuchlerisch, es ist auch gefährlich, so zu tun, als ignoriere man, dass Institutionen Machtinstrumente sind. Besonders wenn man den Anspruch hat, die Gesellschaft durch Kunst zu verändern!










Lass uns zu den Aufnahmen zurückkehren... Diese ist auch sonderbar. Irgendwie bedeutungsvoll? Aber auch sehr banal, so gut wie nichts. Irgendwo, irgendeine Stelle auf der Erde. Der Kontext ist aufgelöst. Vielleicht erwartet man von Fotografien, dass sie auf jeden Fall dokumentarisch sein müssen, dass man immer in der Lage ist, zu wissen, was sie zeigen, auch wenn die Aufnahmen poetisch oder rätselhaft oder gefälscht sind. - Der Schatten sieht weiblich aus, wegen der Rundungen, vielleicht hat eine Frau dieses Foto gemacht, oder Piet möchte, dass man das denkt?

Der Kontext ist ziemlich aufgelöst, dennoch sind die Bilder nicht indifferent. Sie scheinen sich ihrer Funktion bewusst zu sein, und dies macht sie interessant. Auf dieser Fotografie ist es merkwürdig, wie die zwei Steine im Schatten lebendig zu sein scheinen. Und du hast recht in Bezug auf den Schatten: Tatsächlich war Piets Freundin Sylvie mit auf der Reise, und dies muss ihr Schatten sein. Vielleicht sollten wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die meisten dieser Fotografien tatsächlich von Sylvie und nicht von Piet gemacht wurden...










Vögel am Nachmittag machen mich melancholisch. Morgens machen sie mich glücklich. Lange Schatten, ein kurzer Tag. Gibt es etwas, das wir noch nicht erwähnt haben?

Es gibt ganz bestimmt noch Vieles, was wir nicht erwähnt haben, aber es ist erstaunlich, dass wir schon über so viele Dinge gesprochen haben! Ist dir die Idee gekommen, dass Piet mir einfach ein paar gefundene Bilder per E-mail geschickt haben könnte, und dass er vielleicht gar nicht verreist war? Natürlich denke ich nicht so, ich vertraue ihm.










Der Charakter einer Aufnahme kann sich im Auge des Betrachters ohne weiteres verändern. Dadurch, dass du diese Fotografien veröffentlichst, ohne viel darüber zu wissen, bleiben sie etwas sehr Privates. Zugleich sind sie mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen, die wir zu entziffern versuchen. Aber das ist dann wohl nur in unserer Vorstellung so?

Ja, genau. Und darum geht es bei allen diesen Fotografien: um Imagination – und wie unsere Imagination Bedeutung erzeugt.










Der Ort, an dem Piet sich aufhielt, ist hier genau bestimmt. Aber ich kann nicht herausfinden, wo dieser Wegweiser steht... Die Information hilft nicht weiter; und vielleicht wäre sie gar nicht wichtig?

Ich schätze es, dass Piet mir diese letzte Aufnahme geschickt hat, um uns eine Chance zu geben, das Mysterium zu lüften. Aber meine geografischen Kenntnisse sind zu schlecht, und ich mag auch irgendwie die Idee, nicht mehr zu wissen. Alle diese Fotografien bewahren ihr Potential, und mein Interesse an ihnen bleibt bestehen.






Interview: Heike Wetzig & Kristofer Paetau, Juni 2005

Re-Institutionalize # 07: Piet‘s voyage

Danke: Piet Strauven & Sylvie Laenen