Was bedeuten diese Aufnahmen, die wie Urlaubsfotos aussehen, im Rahmen deines Re-Institutionalize Projektes, und was hat es mit dem Holzfisch auf sich?

Ich war tatsächlich in Finnland im Urlaub; auf einer Insel, auf der meine Großeltern ein kleines Haus gebaut hatten, als dort nur einige Menschen lebten, die fast alle Fischer waren. Ich habe mich sehr gefreut, den Netzschuppen (in dem die Fischer ihre Netze zum Trocknen aufhingen) und den alten Fischer Sigfrid wiederzusehen. Ich wusste schon, dass ich das nächste Re-Institutionalize Projekt mit dem Netzschuppen machen wollte, aber ich wusste nicht, was ich dort ausstellen könnte. Am Anfang habe ich versucht, einen Riesenfisch aus Schilfrohr zu bauen, und dann kam mein Vater vom Fischen zurück, ohne Fisch, aber mit diesem schönen alten Stück Holz, das ziemlich genau die Form eines Fisches hat! Manchmal kriegt mein Vater keinen Fisch; dann bemüht er sich, etwas Schönes von einer Insel mit nach Hause zu bringen, zum Beispiel runde Steine, Blaubeeren oder Blumen für meine Mutter. Diesmal hat er den Holzfisch mitgebracht, und das war die perfekte Lösung für meine Ausstellung! Ich habe nur das Auge aus Steinen und Flossen aus Schilfrohr hinzugefügt und … voilà! - Es war mir also wichtig, den Netzschuppen irgendwie zu markieren, mit einer Geste zu prägen, die auch dem Fischer Sigfrid gefallen würde. Mein Vater hatte die Idee, den Fisch über der Tür anzubringen, wo sonst die Angelruten hängen. Er und Sigfrid haben den Fisch aufgehängt, und Sigfrid hat für diese Gelegenheit seinen Festhut aus Holzlamellen aufgesetzt, da er wusste, dass ich das Ganze fotografieren und filmen würde. Ich selber war ganz stolz auf meinen großen Fisch, und meine Mutter hat mich damit fotografiert, als ich den gerade fertig gestellt hatte.





Auch diesmal dokumentieren die Aufnahmen eine Ausstellung, die tatsächlich stattgefunden hat. Man muss allerdings wissen, dass der Netzschuppen und der Fisch... auch die Besucher?... Gegenstand einer Ausstellung waren...

Für mich war es klar, dass diesmal der Netzschuppen der Ansatz des Projektes war, aber ich brauchte eine Geste, eine Markierung, irgendwas, um diesem pittoresken Wrack einen besonderen Status zu geben. Es ist ein bisschen wie ein Museum; es braucht irgendwann mindestens ein Kunstwerk, um behaupten zu können, dass es wirklich ein Museum ist – obwohl manche Museen am schönsten ohne Kunstwerke sind. Dieser “Monsterfisch“ aus Holz hat auch wirklich den Netzschuppen geprägt, und gleichzeitig sah es so aus, als ob der immer da gewesen wäre. Der öffentliche Bootssteg ist nur 15 Meter vom Netzschuppen entfernt, und alle Leute, die dort anlegten, konnten den Fisch einfach nicht verpassen. - Natürlich war es keine normale Ausstellung, und die Leute haben es auch mehr wie einen Scherz wahrgenommen, aber ein Scherz, bei dem man nicht so genau weiß, wo das Lustige steckt. Vielleicht ist es dann eher ein schlechter Scherz – oder eben kein Scherz? Ich selber sehe den Fisch als "Outsiderkunst", und das ganze Re-Institutionalize Projekt könnte dann meinetwegen gern eine Art "Conceptpropagandaoutsiderkunst" sein…





Als Koordinaten für das Projekt werden in den bisherigen Interviews "Ort", "Institution" und "Kunstkontext" erwähnt. Könntest du etwas dazu sagen? Ich habe den Eindruck, dass dir Kategorisierungen ziemlich wichtig sind.

Um das schnell zu sagen, es geht in diesem Projekt vor allem um die Re-Kontextualisierung eines Ortes durch ein Objekt. Ich benutze ein vermutliches Kunstwerk (das alte Holzstück ist das klassische "Objet trouvé"), um einen Ort in eine Kunstinstitution zu verwandeln. Eigentlich genau das Gegenteil dessen, was normalerweise in der Kunstwelt passiert. Normalerweise benutzt die Kunstwelt das Prestige einer Kunstinstitution, um etwas zu Kunst zu erklären und zu legitimieren. Meine Vermutung ist aber, dass die Kunstinstitution sich hauptsächlich selber dadurch legitimiert und praktisch die Position eines "Meta-Kunstwerkes" einnimmt: ein Kunstwerk, ohne das kein Kunstwerk möglich ist. Diesen Mechanismus möchte ich umkehren und sehen, ob ich nicht ein Wrack mit einem Stück Holz zur Kunstinstitution machen kann… Der "Kunstkontext" ist nicht etwas Festes und Stabiles, er ist ein Terrain, das jederzeit neu definiert werden muß.





Du stellst also eine Kunstinstitution aus; und man könnte dieses Interview ebenfalls als Ausstellung verstehen?

Ja; das ganze Re-Institutionalize Projekt fing damit an, dass ich von der Wichtigkeit der Kunstinstitutionen für das aktuelle Kunstmachen genervt war. Die schon alte Idee, dass der Kurator eigentlich die Künstler ersetzt, hat eine symptomatische Folge in der Idee, dass die Institution eigentlich die Kunstwerke ersetzt. So hat man eine Meta-Ebene, auf der Kuratoren und Institutionen die Künstler und Kunstwerke erfinden und managen. Das bedeutet für einen Künstler, dass er entweder von einem Kurator und einer Institution “adoptiert“ werden muss oder – wenn er keine Adoptiveltern findet –, dass er selber Kurator werden muss und eine Institution (er)finden muss, um als Künstler öffentlich tätig sein zu können… Diese Situation ist heute sehr deutlich, aber schon zu Beginn der "Modernen Kunst" war das Problem für die Künstler da. Zum Beispiel Gustave Courbet hat, als Protest zur Jury der Weltausstellung in Paris 1855, seine eigene Ausstellung kuratiert und auch die eigene Institution (Pavillon du Réalisme) dazu gebaut.





Wer bestimmt denn, ob die Fotografien vom Netzschuppen und seinen Gästen – oder diese selbst - Kunst sind? Ist dir die Frage nach der "Kunst" wichtig?

Der Betrachter wird schon herausgefordert, die Fotos zu interpretieren und dazu eine Position einzunehmen, aber er kriegt nur das zu interpretieren, was ich ausgebe. Das heißt, der Betrachter ist immer Teil eines von mir vorgestellten Szenarios. Das ist an sich nichts Neues. Zeitungen, Werbung und Filme funktionieren ähnlich. Aber weil ich alles selber mache und finanziere, bin ich sehr unabhängig. Zum Glück kann ich doch nicht alles kontrollieren, da auch andere Leute einbezogen sind; und vor allem, da Bilder immer außer Kontrolle geraten. - Natürlich ist mir die Frage nach der Kunst wichtig, aber nicht als Anspruch im Sinne von: "Achtung, diese Fotografien sind Kunst!" Sondern es geht viel mehr darum, den Betrachter und Leser mittels Fotos und Text in mein Szenario einzubeziehen und ihn dazu zu bringen, an einem konkreten Beispiel über Kunst nachzudenken.





Du bist auch selbst zu sehen. Tragen diese Aufnahmen dazu bei, Kunst zu verstehen, zeigst du sie zu diesem Zweck? – Was ist die Botschaft der Bilder?

Ich bin nur auf dem Foto, das meine Mutter von mir machte – mit dem Fisch in meinen Armen – zu sehen. Einfach so, wie sehr viele Amateurfischer stolz mit ihrem gefangenem Fisch gerne posieren. Re-Institutionalize ist ein Projekt im sozialen Raum, ein Kunstprojekt, das Orte, Leute und Situationen einbezieht. Deswegen ist es mir wichtig, dass die Leute, die normalerweise mit dem Ort zu tun haben, auch auf den Fotos zu sehen sind. Es ist vielleicht mit einer Reportage zu vergleichen, die sich selbst zum Objekt macht – also nicht eine Reportage über eine Reportage, sondern eine Reportage, deren Ziel es ist, etwas über sich selbst zu erfahren. Insofern tragen die Fotos nur indirekt dazu bei, Kunst zu verstehen. Sie sind Teil des Kunstprojektes und gleichzeitig eine Dokumentation darüber. Der Betrachter ist für mich im idealen Fall wie ein Komplize und sollte durch die Fotos eine distanzierte Teilnahme an dem Geschehen aufbauen können.





Wen möchtest du erreichen?

Ich habe immer die naive Vorstellung, dass jeder Mensch von meiner Kunst etwas haben kann, und ich versuche im Prinzip, so viele Menschen damit zu erreichen wie möglich. Auch deswegen mag ich das Medium E-Mail in Verbindung mit einer Dokumentation im Internet. Allerdings weiß ich, dass nur wenige Leute Zeit und Lust haben, sich mit Kunst zu beschäftigen. Und besonders Menschen, die sich professionell mit Kunst beschäftigen, haben nur sehr wenig Zeit und Lust, selber etwas Neues zu entdecken. Dennoch hoffe ich, dass möglichst viele Menschen meine Mails und die Re-Institutionalize Dokumente wie eine Art Flaschenpost öffnen und lesen.





Interview: Heike Wetzig & Kristofer Paetau, August 2004

Re-Institutionalize # 04: Netzschuppen