Im evangelischen Kindergarten Stephanus hast du Arbeiten des Künstlers Ondrej Brody ausgestellt: Fünf Gemälde, die er nach gefundenen Kinderbildern gemalt hat und die vermutlich genau wie die Vorlagen aussehen. Kannst du das ein bisschen erklären?

Ondrej hatte mir eine Dokumentation seiner Arbeiten gezeigt. Dabei fiel mir diese Serie auf, die auf den ersten Blick wie ein Versehen im Portfolio aussah und die er noch nie ausgestellt hatte. Der Kindergarten schien mir ein guter Ort dafür zu sein.





Man sieht, was es ist; und sieht es zugleich nicht, weil es sich um so etwas wie Imitationen handelt, was aber nicht ohne weiteres zu erkennen ist. Auf welche künstlerischen Auseinandersetzungen oder Vorbilder beziehen sich diese Arbeiten und dein Kuratieren?

Die Unsicherheit darüber, was eigentlich zu sehen ist und wie man es einordnen kann, finde ich überhaupt interessant in der Kunst. Ondrejs Bilder sind genau ausgeführte Kopien, sie haben nichts Spontanes. Sie beziehen ihre Energie (und unsere Sympathie) aus unseren Vorstellungen von Kinderbildern. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man erstens, dass die Technik (Öl auf Leinwand) und zweitens, dass die kalkulierte Ausführung nichts mit Kindermalerei zu tun hat. Ondrej wollte auch bewusst die Betrachter verunsichern mit dieser Serie und nannte zum Beispiel Arbeiten von Glenn Brown als eine künstlerische Referenz.





Es handelt sich um ziemlich wenige Bilder. Mir vermittelt sich die Idee der Konzentration, aber auch der Widerspruchslosigkeit im halböffentlichen Raum, zugunsten einer Überzeugtheit, die sich dem Präsentierenmüssen entzieht und sich der Zustimmung des Publikums gewiss sein kann. Siehst du in dieser Ausstellung einen Ansatz für neuartige Auseinandersetzungen über Kunst verwirklicht?

Ich bin mir nicht so sicher. Was die Konzentration angeht, gab es dort ja gleichzeitig richtige Kinderzeichnungen zu sehen: Ondrej hat eine Auswahl von Arbeiten von den Kindern zusammen mit seinen Bildern gehängt, und damit löste sich das Ganze ziemlich auf. Ich sehe auch nicht, inwiefern diese Ausstellung Widerspruchslosigkeit vermittelt. Der halböffentliche Raum ist auch an sich kein widerspruchsloser Ort, ganz im Gegenteil. Ich denke schon, dass wir beide jetzt von dieser Arbeit überzeugt sind, aber man sollte nicht vergessen, dass Ondrej diese Gemälde nie vorher zeigen wollte. Und das Präsentierenmüssen war hier Thema, würde ich behaupten; es fand aber in einem speziellen Kontext statt. Was die Zustimmung angeht: Niemand kann sich der Zustimmung eines Kinderpublikums gewiss sein, Kinder drücken ihre Meinungen sehr spontan aus. Die fanden die Gemälde schön, wunderten sich aber, wieso wir die Bilder dort zeigen wollten. Was die Eltern dazu sagen, weiss ich noch nicht, aber die Kinder haben sicherlich zu Hause von dem Ereignis erzählt, und sie haben viel mitgeholfen bei der Auswahl der eigenen Zeichnungen, beim Leerräumen der Wände und beim Anbringen der Gemälde zusammen mit Ondrej. Manche haben richtige "Performances" vor der Videokamera gemacht, in der Hoffnung, dass das später im Fernseher zu sehen sein werde … - Meine Auseinandersetzung mit Kunst ist nicht am "Neuen" orientiert, sondern daran, das “Bekannte“ zu entfremden. Der Kontext, in dem ich das Projekt mache, die Art und Weise, wie ich es mache und vermittle, interessiert mich mehr, als etwas “Neues“ zu erfinden. Mir geht es vor allem darum, einen Denk- und Experimentierraum für die Bilder zu schaffen. Das Re-Institutionalize Projekt ist vielleicht zu vergleichen mit Ausstellungen und Aktionen, die Christian Boltanski Anfang der 70er Jahre gemacht hat, oder auch mit einigen Projekten von Gianni Motti. Auch Arbeiten von Künstlern meiner Generation, wie Sislej Xhafa (Pleasure of Flower, 2000, eine Installation in einer Polizeistation) oder Anri Sala (Dammi i colori, 2003, eine Videodokumentation über ein "malerisches" Projekt des Bürgermeisters von Tirana), haben mir Impulse gegeben.





Siehst du in dem Re-Institutionalize Projekt, dessen zweiter Teil diese Ausstellung ist, eine Entwicklung oder Facetten eines Grundgedankens verwirklicht, oder steht jede Ausstellung einzeln für sich?

Ich kann das noch nicht so gut beurteilen; die Zusammenarbeit mit den Leuten in den jeweiligen Institutionen bedeutet viel für mich: Eine sehr wichtige Frage ist immer, wie ich sie am besten in das Projekt einbeziehen kann. In diesem Fall haben es die Kinder sehr gut gemacht: Der Aufbau war ein spannender, lustiger und anstrengender Moment. Beim ersten Projekt, im Salon Picasso, hatte Ondrej vorgeschlagen, mit mir zu kommen, um den Aufbau der Ausstellung zu filmen. Das war eine sehr gute Idee! Der Aufbau ist der Moment, in dem die Leute wirklich konkret sich mit ihrem Raum und mit den künstlerischen Arbeiten auseinandersetzen. Dieser Moment ist immer anders, und die Entscheidungen, die in diesem Moment getroffen werden, sind es auch. Es handelt sich um eine einfache Aufgabe: einige Bilder in einem Raum zu hängen. Diese Aufgabe bewirkt aber komplexe Fragen und Reaktionen am jeweiligen sozialen Ort. Kunstwerke ausserhalb des schützenden White Cubes lösen sich sozusagen meistens auf; andererseits werden Orte durch das Eindringen von Kunst in Frage gestellt. Was mich interessiert, ist diese Möglichkeit, eine Art “switch“ in unserer Wahrnehmung des Ortes zu bewirken.




Ondrej Brody & Kinder





Interview: Heike Wetzig & Kristofer Paetau, Juni 2004

Re-Institutionalize # 02: Evangelische Kindergarten